Was ist es, das Herzmuskelzellen so faszinierend macht? Für mich sind es zwei Dinge – die Tatsache, dass sie sich immer aufeinander abgestimmt zusammenziehen und wieder erschlaffen und ihre Eigenschaft niemals müde zu werden.
Niemals müde?
Könnt ihr euch vorstellen, nicht müde zu werden? Was würdet ihr mit all der Zeit anfangen, die ihr nicht mit Schlafen verbringt? Der längste, gut dokumentierte Fall im Wachbleiben beträgt übrigens 264 Stunden, also rund 11 Tage. Er stammt aus dem Jahr 1965 von einem Highschool-Studenten. Weltrekordversuche werden auf diesem Gebiet, auf Grund der gesundheitlichen Folgen, nicht erlaubt. Auch das ist interessant, wenn man bedenkt, in was allem Weltrekordversuche durchgeführt werden... Aber das ist wohl eine andere Geschichte...
Während ich prokrastiniert habe und von einem Artikel “Gesundheitliche Auswirkungen von zu wenig Schlaf” zum anderen gescrollt bin, hat mein Herz ungefähr 2400 Mal geschlagen (ihr könnt gerne ausrechnen wie lange das war ;)). Das heißt, meine Herzmuskelzellen zogen sich tausende Male koordiniert zusammen, um all meine Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen.
Es sieht so aus als würden Herzmuskelzellen gar nicht anders können, als sich zusammen zu ziehen. Sogar in einer Zellkultur zeigen die Zellen nach wie vor einen konstanten Rhythmus - eindrucksvoll zu sehen in diesem Video:
Ein komplexes Orchester, kontrolliert von einem Dirigenten
Man möchte jetzt meinen, dass es für mich als Wissenschaftlerin einfach zu verstehen ist, wie Herzmuskelzellen funktionieren. Denkste...
Ich bin da natürlich gewissenhaft und fange zu recherchieren an. Da lese ich dann Begriffe wie Gap junctions (Nexus), Disci intercalares und Desmosomen, Myofibrillen, sarkoplasmatisches Retikulum, T-Tubuli und Sarkosomen (1). Sicher, das hab ich während meines Studiums bestimmt alles einmal gelernt und Manches ist mir natürlich bekannt, aber so ganz sicher fühle ich mit all den Begriffen nicht mehr. Zeit mein eigenes, verschlafenes Wissen einmal aufzufrischen...
Also alles mal der Reihe nach. Herzmuskelzellen erhalten ein Signal, das vom herzeigenen Dirigenten, dem Sinusknoten, vorgegeben wird. Dieses Signal, wird von spezialisierten Herzzellen weitergeleitet. Das sind die ersten Geigen im Herzen, die im direkten Kontakt mit den Herzmuskelzellen, der sogenannten Arbeitsmuskulatur, stehen.
Herzzellen halten zusammen
Spezielle Knotenpunkte (“Gap junctions”) überbrücken den Spalt (“Gap”) zwischen den Zellen und halten diese dadurch fest zusammen. Das erleichtert die Kommunikation. Auch die Disci intercalares (zu Deutsch Glanzstreifen) sind Verbindungsstücke zwischen den Herzmuskelzellen. Im Lichtmikroskop erscheinen sie als helle Streifen und bekamen deshalb den Namen „Glanzstreifen“ (auch zu sehen im ersten Bild, welches die helle Stelle sehr gut zeigt). Bei Herzmuskelzellen ist eine feste Verbindung besonders wichtig, damit sich der richtige Teil des Herzmuskel zur richtigen Zeit zusammenzieht. Das ist so wie bei siamesischen Zwillingen - bewegt sich der eine Zwilling, kann der andere auch nicht still stehen.
Kardiomyozyten (Herzmuskelzellen) unter dem Lichtmikroskop. Der Pfeil zeigt auf die Verbindungsstelle, also die Glanzstreifen, zwischen zwei benachbarten Zellen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Herzmuskel
Herzzellen haben eigene "elektrische" Leitungen
Was sind dann also diese T-Tubuli? Herzmuskelzellen reagieren auf elektrische Signale und so wie bei einem Haus muss es dafür auch Leitungen geben. Diese T-Tubuli sind Ausstülpungen der Zellmembran der Herzmuskelzellen und leiten so die Signale schneller in das Innere. Sind die Signale dort angekommen, muss das auch im Inneren der Zelle schnell eine Reaktion erzeugen. Dafür gibt es dann das sarkoplasmatische Retikulum (ein naher Verwandter des endoplasmatischen Retikulums, von dem ihr vielleicht schon mal gehört habt) – wie ein Verlängerungskabel in einer Steckdose nimmt es den Strom wahr und setzt darauf hin in der Zelle Kalzium frei, was wiederum das Startsignal für die Myofibrillen ist.
Die Bausteine der Herzmuskelzellen - Myofibrillen
Wenn man jetzt nochmal mehr in die Herzmuskelzellen hineinzoomt und sich diese unter dem Elektronenmikroskop ansieht, dann erkennt man helle und dunkle Linien. Die könnt ihr bei dem tollen Bild, das mir eine Kollegin zur Verfügung gestellt hat, erkennen. Diese Linien sind die Myofibrillen, quasi die Bausteine einer Herzmuskelzelle. Jetzt müsste man nochmals weiter hineinzoomen, um die ineinander verschränkten Proteine (Aktin und Myosin) zu sehen, die dann wie eine Sprungfeder zwischen Spannung und Entspannung hin und her wechseln und die Zellen zusammenziehen oder sich wieder strecken lassen.
Herzmuskelzellen eines Mäuseherzens unter dem Elektronenmikroskop. Zur Verfügung gestellt von Dr. Dagmar Kolb/Medizinische Universität Graz.
Energiekraftwerke - die Mitochondrien
Was ihr noch in dem Bild oben erkennen könnt, sind die schwarzen, kartoffel-förmigen Teile. Das sind die Mitochondrien der Herzmuskelzellen (auch Sarkosomen genannt). Das sind die Kraftwerke, wo die Energie für das ständige Sich-Zusammenziehen herkommt. Nachdem der Herzmuskel so einiges leisten muss, gibt es davon auch eine ganze Menge.
Nun bleibt noch die Frage, warum der Herzmuskel niemals müde wird. Hauptsächlich lässt es es sich dadurch erklären, dass alle Vorgänge in den Zellen optimal aufeinander abgestimmt sind. Besonders wichtig ist dabei das Auffüllen des Energiebedarfs der Zellen. Kardiomyozyten verbrennen hauptsächlich Fett, weil das am meisten Energie bereitstellt. Sie können aber auch schnell auf Zucker umschalten. Wichtig ist, dass der Nachschub nicht aufhört, weil sie ja sprichwörtlich Schwerstarbeit leisten (2).
Wusstet ihr...?
Noch ein paar interessante Fakten am Schluss – die Zellen, die das Herz bilden, sind die ersten die ihre finale Form im Embryo bilden. Das heißt, dass das Herz das erste Organ eines sich entwickelnden Menschen ist. Herzmuskelzellen regenerieren sich auch nur sehr schwer. Bei 25jährigen werden etwa 1% der Herzmuskelzellen pro Jahr ersetzt. Diese Rate sinkt bei 75 jährigen auf 0,45% ab. Während eines Lebens werden jedoch weniger als 50% der Herzmuskelzellen ausgetauscht (3). Ein Erwachsener hat in nur einer Kammer ca. 6 Milliarden Zellen, jedoch nimmt diese Zahl im Lauf des Lebens ab (1). Auch wenn es zu Verletzungen des Herzens kommt, wie zum Beispiel bei einem Herzinfarkt, sterben Herzmuskelzellen (4). Die fehlenden Zellen werden hierbei durch Narbengewebe ersetzt, das natürlich leider nicht die gleichen Funktionen erfüllt.
Habt ihr schon mal von Erkrankungen der Herzmuskelzellen, wie der Myopathie, gehört? Das ist eine Erkrankung, wo der Herzmuskel doch müde wird. Davon wird ein weiterer Artikel handeln und auch auf unserem Instagram-Profil erfahrt ihr mehr davon!
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